Kolumne von Bert van Manen

 Übersetzt von Andreas Volbracht

Das Interessanteste, was Dick Jaspers in seinem Interview gesagt hat, nachdem er gerade die Dreiband WM 2018 gewonnen hatte, war dies:

"Ich war diese Woche mental stark; das war der Schlüssel zum Titel." 

Das hört gerade so an wie das, was auch andere Sportler beinahe täglich von sich geben. Aber schauen wir doch mal genauer hin. Er sagt: "diese Woche". Damit sagt er auch – anders macht das keinen Sinn: „Ich habe nicht IMMER mentale Stärke auf diesem Level“. Das gibt´s nicht jederzeit auf dem Konto verfügbar. Es schwankt. Wir mögen das Gefühl haben, dass dieser Jaspers aus Stahl und Granit besteht, dass dieser Merckx mit der schieren Kraft seines Willens beim Spielstand 15 zu 37 das Comeback zustande bringt, dass Caudron einfach sicher weiß, jetzt macht er die 12er Serie, die er braucht. Aber der Eindruck ist falsch. Wenn du Ohren hast zu hören, dann wirst du das auch von diesen Spielern hören. Selbst wenn du ein übermenschlicher starker Billardspieler bist, ist nur ein Teil „über“, der andere Teil bleibt menschlich.    

Jaspers musste 2018 fast dasselbe Kunststück zusammenbringen wie Blomdahl 2015. Erinnern wir uns: Torbjörns Gegner im WM-Finale (in Bordeaux) war Dong Koong Kang; der macht die 40 als erster: 40:34. Blomdahl braucht sechs im Nachstoß zum Ausgleich, macht sie und gewinnt das Elfmeterschießen mit 2: 1. Dick war in der gleichen Lage: er brauchte vier im Nachstoß und macht drei im Elfmeterschießen, nachdem Bury zwei gemacht hatte. Ich denke, die Leistungen von DJ und TB sind vergleichbar, auf dem gleichen Level. Meine Herzschlagfrequenz lag jedenfalls beide Male bei mindestens 180.

Es gab zwei Schlüsselstellen für Dick. Der dritte Punkt beim Nachstoß war heikel: Fünfbänder aus einem Winkel, der Fehler zuließ, exakt die richtige Geschwindigkeit, um den Spielball kurz genug zu machen und Ball 2 so langsam, dass er nicht kontert. Es war eine Aufgabe, bei der du neun Fragen zu beantworten hast, und wenn du nur acht richtige gibst, hast du´s vermasselt. Er musste so verdammt perfekt sein. Die zweite Schlüsselstelle war der zweite Punkt beim Elfmeterschießen. Ein so la-la Anfangsball führte zu einer delikaten Stellung: Überhandball im Viertelbillard, Ball 2 nahe der Ecke, das Queue über Ball 3 leicht angehoben, beim Abstoß das Ziel - Ball 3 - außerhalb des Blickfelds. Nachdem er diese Hürde genommen hatte, sah der dritte, der Siegpunkt wie ein Pflichtball aus. (... war es aber nicht. Auch den konnte man leicht auslassen).

Jaspers Kairo 2018

Billard Fans auf der ganzen Welt hatten teil an diesen intensiven letzten Minuten, sie werden jede  Sekunde genossen haben. Aber ich hege den starken Verdacht, dass sie nach dem Siegpunkt nicht darüber geredet haben, wie supergenau Dick den richtigen Winkel, die richtige Linie beurteilt hat und wie fantastisch dünn er über die Tischlänge trifft. Sie werden kommentiert haben, wie enorm seine "mentale Stärke" war.

Als ob er gerade mit dieser Viererserie und diesen Drei im Nachstoß bewiesen hätte, dass er mentale Stärke hat. Weißt du was? Ich sehe das anders.  

Dicks Spielball war so verdammt nah am Konter mit Ball 2, aber genau bei diesem Winkel hatte der Ball eine Chance. Verschiebe den Gelben um drei Millimeter und der Ball verändert sich von "sehr schwer" auf "praktisch unmachbar". Hätten wir unser Urteil über Dicks mentale Stärke revidieren müssen? Hätte er diesen „Unmachbaren“ versucht und verfehlt, wäre dann Bury der „mental stärkere“ gewesen und Dick hätte sich in der Rolle von Dong Koong Kang 2015 befunden? Ich denke nicht.

Ich halte es für zweifelhaft, Erfolg in erster Linie auf mentale Stärke zurückzuführen. Bury hat dieses Finale nicht verloren, weil er etwa aufgegeben hätte oder geistig zusammengeknickt wäre. Wir haben einen Spieler gesehen, dem von der ersten bis zur letzten Minute nie an Kampfgeist fehlte. Er hat verloren (wie auch Dong Koong Kang 2015), weil sein Gegner besser war. Fähigkeiten und Mentalität ergänzen einander, gehen sogar in einander über, wenn wir aber das zweite überschätzen, geben wir dem ersten zu wenig Gewicht. 

Um es noch komplizierter zu machen: Weltmeistertitel werden nicht immer vom besten Spieler gewonnen -  nur vier Tage, nur vierzig Punkte. Geht es bis 60 und Jeder-gegen-Jeden, dann wird der beste Spieler oben stehen, mit Sicherheit! Aber in unserem aktuellen Format spielt die Glücksfee eine wichtige Rolle, und alle möglichen Kleinigkeiten können größere Folgen haben. Dani Sánchez war 2007 der bessere Spieler als Ryuuiji Umeda. In diesem Turnier in Cuenca spielte er insgesamt auch deutlich besser (1,805 der Spanier, 1,426 der Japaner). Aber Umeda hat das Finale gewonnen und damit den WM-Titel. 2010 lief es für Dani genau umgekehrt: da hat eine kleine Fehlentscheidung Leppens den Titel gekostet. Er verlor 15-12 im fünften Satz und Sánchez hatte den Titel.

Hat Sánchez gegen Leppens gewonnen, hat Blomdahl Dong Koong Kang besiegt, hat Jaspers Bury geschlagen aufgrund überlegener mentaler Stärke oder wegen größerer Fähigkeiten? Was war es -  deiner Meinung nach -  Charakterstärke, eiserne Nerven, Killerinstinkt, mentale Härte? Wenn es so ist, gibt´s die bessere Geschichte zu erzählen ... mit Helden und romantisch dazu. Wie aber, wenn es so ist, wie passt Umeda da rein und wie das Match, in dem einer der mental härtesten Jungs aller Zeiten (DJ) 44-7 vorne liegt und doch verliert?

Dreiband ist launisch, unberechenbar, grausam und manchmal einfach ungerecht. Beurteilt die Spieler nicht so schnell und nicht zu hart, Leute. Wir sitzen bequem im Sessel und schauen auf den Bildschirm. Die stehen im Ring, wo es zur Sache geht und wo es weh tut.