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Billard Karambol - Dreiband - Bert's column (NED)

Glückspilz oder Pechvogel?

Gepostet von am 25. Dezember 2018

Glückspilz oder Pechvogel?

Kozoom

Kolumne von Bert van Manen

Übersetzt von Andreas Volbracht

Afrika ist rund dreimal so groß wie Europa. 1,2 Milliarden Menschen leben da. Wenn wir Dreiband weltweit populärer machen wollen, sollten wir nicht nur unsere sicheren Domänen Europa, Amerika und Asien im Auge haben. Warum soll eigentlich nicht selbstverständlich sein, dass man in zwanzig Jahren auch in den Straßen von Johannesburg, Nairobi und Lagos Billard-Säle findet? Mit Blick auf die Zukunft - und weil die Errichtung eines Gebäude mit der Gründung eines Fundaments anfängt - wurde 2013 ein Billarddachverband für den afrikanischen Kontinent geschaffen: der ACC.    

Ist die ACC bereits ein "Dachverband“ im wörtlichen Sinn? Nein. Gibt es nationale Dreiband-Meisterschaften in Kongo, Tansania und der Elfenbeinküste? Nein. Die ACC besteht nach wie vor im Wesentlichen nur aus Ägypten, dem einzigen Land, in dem Dreiband verbreitet und gut organisiert ist. Dieser Dachverband, diese „Confederation“, ist noch kein fertiges Gebäude, das Fundament ist da; im Erdgeschoss sind die ersten Räume bezogen, die Arbeit geht weiter.   

So kommt es, dass sich der junge und talentierte Sameh Sidhom in einer einzigartigen und privilegierten Position befindet. Er ist mit Abstand der beste Spieler Ägyptens und damit aus ganz Afrika. Als Gewinner des afrikanischen Kontinentaltitels erhält er die gleiche Anzahl an Rangpunkten (80) wie die Champions aus den anderen Konföderationen. Ohne Zweifel ist es um ein Vielfaches schwieriger, den europäischen (CEB) oder den asiatischen (ACBC), auch den amerikanischen (CPB) Titel zu gewinnen.   

Und das ist noch nicht alles. Sameh gewinnt in der Regel den ägyptischen Titel, das bringt weitere 30 Rankingpunkte. Da er in allen WeltCups gesetzt ist, hat er auch da 8 Punkte sicher, selbst wenn er in der ersten Partie verliert. Mit den jeweils 8 Punkten aus den letzten 8 WeltCups hat er also weitere 64 Punkte in der Tasche. Die automatische Einladung zur Weltmeisterschaft bringt ihm mindestens 8 Punkte. Damit kommt er auf 182 Rankingpunkte (80 + 30 + 64 + 8 =182), ohne einen Spieler schlagen zu müssen, der 1.200 GD oder besser spielt. Zurzeit braucht man 190 Rankingpunkte, um zu den geschützten Top-14 zu gehören, die in den WeltCups gesetzt sind. Um deine Reise- und Übernachtungskosten musst du dir keine Gedanken machen, die werden übernommen.   

Vergleichen wir das mit der Lage für die europäischen Spieler, die zwar gut sind, aber nicht gut genug sind, um den CEB-Titel zu gewinnen. Oder mit der Situation für koreanische, japanische und vietnamesische Spieler, die den Asientitel nicht gewonnen haben. Diese Spieler haben in der Regel nicht die 30 Punkte aus der nationalen Meisterschaft, sondern eher 12 oder 7. Bei den Konföderationsmeisterschaften bekommen sie nicht die 80, sondern vielleicht 24 oder 12 Punkte. Ergebnis: sie zahlen jede Reise zu einem WeltCup aus eigener Tasche. Nicht wenige von diesen Jungs haben gleiche Spielstärke wie Sameh Sidhom. 

Bevor ich fortfahre, zuerst ein paar Worte über Sameh. Er ist ein sehr angenehmer, liebenswerter Mensch, freundlich, trotz seines großen Talents ohne Arroganz. Er gewinnt mit Stil, er verliert ohne Nörgeln. Sein Dreiband ist ein wahrer Genuss fürs Auge: er spielt flüssig und mit natürlicher Eleganz, mit einer Polychronopoulos-artigen Mischung aus Fehlern und brillanten Lösungen. In den letzten Jahren ist er schnell vorwärts gekommen: von 1.250 auf 1.500. Man gönnt ihm sehr, dass er noch stärker wird. Ich denke, er ist ein hervorragender Botschafter für Dreiband, er wird junge Menschen in Ägypten begeistern; hoffentlich erzielt er auch in anderen Teilen von Afrika diese Wirkung.    

Sidhom 2018

Zurück zur Frage: ist Sameh unter den gegebenen Bedingungen der größte Glückspilz im Billard? Schauen wir uns seine letzte Saison genauer an.   

- Antalya Sidhom - Leppens 39 - 40 in 26.

- Ho-Chi-Minh-Stadt Sidhom - Morales 40-40 in 24. Sidhom verliert im Stechen 0: 1.

- Blankenberge Sidhom - Capak 40 - 40 in 25. Sidhom verliert im Stechen 0: 1.

- Porto Sidhom - Zapata Garcia 38 - 40 in 20.

- La Baule Sidhom - Nelin 28 - 40 in 24.

- Seoul Sidhom - Sung Uk Oh 40 - 40 in 25. Sidhom verliert mit 0: 1.

- Somabay/Hurghada Sidhom - Haack-Sörensen 40 - 30 in 27. 

Sidhom - Jaspers 40 - 40 in 21. Sidhom verliert 3-4. 

In sieben WeltCups gewinnt er bei 1.588 GD ein Spiel. Er verliert einmal mit einem großen Unterschied, zweimal mit sehr kleinem Unterschied, VIERMAL verliert er im Stechen. Das sind sechs Spiele, die er hätte gewinnen können, drei, vielleicht vier, die er hätte gewinnen SOLLEN. Eine einzige Partie davon gewonnen? Das ist mager. Ein Generaldurchschnitt von 1,588? Hervorragend!

Ist er also der größte Pechvogel im Billard? 

Nein, auch das nicht. Die Gründe, warum er der größte Glückspilz ist, wiegen schwerer. Du kannst nun mal kein Stechen gewinnen, wenn du immer wieder den Anfangsball auslässt. Ich denke, er selbst wird darüber tief ins Grübeln gekommen sein. Wir haben uns damit schon mehrfach beschäftigt: Wenn der Druck in der Partie am höchsten ist, dann geht es nicht mehr um Wissen, um Systeme, nicht einmal um die Folgeposition. Andere Faktoren werden plötzlich wichtiger. Kannst du deine Herzfrequenz niedrig halten? Hast du deine Nerven unter Kontrolle und deine Gefühle? In den Sekunden eines Stechens lernst du dich besser kennen als in den langen Stunden des Trainings.

Aber dennoch: Wenn du selbst Dreiband spielst, dann wirst du Samehs Ergebnisse in diesen Partien nicht ansehen, ohne mit ihm zu fühlen. Wie viel Enttäuschung kann ein einzelner Mensch ertragen? Wie oft sollst du denn noch 40 in 24 oder 21 machen und wieder nicht in die nächste Runde kommen? Unser Sport kann verdammt grausam sein.

In meinen Augen ist die Bewertung der nationalen Meisterschaften und der Erdteil-Titel der Konföderationen mit 30 und 80 Punkten zu hoch. Insbesondere die letzteren 80 Punkte bekommen in der Rangliste ein zu hohes Gewicht. Ersteres hat nicht ganz die gleiche Bedeutung: ein paar nationale Meister aus kleineren Billardnationen klettern in der Rangliste höher als es ihrer tatsächlichen Spielstärke entspricht. Aber um die Nummer 83 oder 94 in der Rangliste schert sich keiner. Die 80 Konföderations-Punkte bringen gerade da in der Rangliste große Unterschiede, wo es ans Eingemachte geht. Gerade jetzt, wenn ein Platz in den Top-14 oder Top-20 (3CC!) für die Spieler erhebliche finanzielle Konsequenzen hat, haben sie Anspruch auf gleiche Chancen, gleiche Bedingungen, unabhängig davon, in welchem Land oder Kontinent sie leben. Ich hoffe sehr, dass auch die Entscheidungsgremien in der UMB das genauer anschauen und im Ergebnis ihrer Revision die Punktevergabe etwas feiner auf die sportliche Realität abstimmen, die sich in ihr widerspiegeln soll. 


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Kommentare

Nachlaüfer17
Nachlaüfer17
Ausgewogenes Punktesystem
Wieder einmal ein gelungener, kritischer Beitrag von Bert van Manen.
M.E. muss man jedoch auch sehen, dass es viel einfacher ist in Korea, Vietnam oder der Türkei zum guten Spieler zu reifen, weil man die entsprechenden Trainer und Gegner hat.
Dass es ein Spieler in Ägypten schafft dieses beachtliche Leistungsniveau zu erreichen ist besonders bemerkenswert, weshalb die 80 Kontinentalpunkte unter diesem Aspekt m.E. ihre Berechtigung haben.
Ausserdem führen sie dazu, dass sich im Topbereich der Weltrangliste auch Spieler aus Afrika und Amerika befinden, die in ihren Ländern Vorbilder sind.
Und die Motivation ägyptischer Weltcup-Ausrichter hat sicherlich auch mit dem Vorhandensein des Vorzeigespielers Sidhom zu tun ...

Message 1/1 - Veröffentlichen in 26. Dezember 2018 15:46

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