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Billard Karambol - Dreiband - Bert's column (NED)

Wir wollen Euch auf dem Hochseil sehen!

Gepostet von am 12. April 2019

Wir wollen Euch auf dem Hochseil sehen!

Kozoom

Kolumne von Bert van Manen

Übersetzt von Andreas Volbracht

Jeder Dreibandfan weiß es: die Durchschnitte sind steil nach oben gegangen genau in dem Zeitraum, in dem die Länge der Partien drastisch verkürzt worden ist. Das eine führte zu dem anderen: Eine einzige hohe Serie, auch ein einzelner Fehler wurden wichtiger. Bei der längeren Distanz früher hatte man Zeit, wieder zu Kräften zu kommen. Da konntest du dir ein paar schwache Aufnahmen leisten, Pech haben, hattest trotzdem Zeit für ein Comeback und konntest am Ende noch gewinnen.

Zwischen 1962 und 1982 kämpften Ceulemans und Scherz elf Mal um den Titel bei den Europameisterschaften, der Belgier (der übrigens alle elf Begegnungen gewann) lag im GD zwischen 1.200 und 1.400, der Österreicher zwischen 0.950 und 1.150. Die Partien gingen bis 60 Punkte! Im Schnitt brauchten sie 45 Aufnahmen.

Vergleichen wir einmal als Kontrastprogramm diese 45 Chancen, die Siegpunkte zu sammeln, mit den letzten zehn Finalpartien bei den Weltmeisterschaften: Die dauerten im Durchschnitt nicht einmal 18 Aufnahmen. Erst wurde auf 50 Punkte reduziert, dann wurde das Satz-System eingeführt. Das ist auch längst Geschichte, jetzt geht es bis 40, was wiederum eine deutliche Reduzierung darstellt. Angesichts der immer höheren Spielqualität ist eine Partie bis 40 Punkte nicht einmal mehr ein Mittelstrecken-Match, das ist jetzt ein Sprint.

Wenn wir mal die Details beiseite lassen und das ganze Bild anschauen, dann sehen wir, wie die Entwicklung von Ceulemans bis Caudron von 45 bei nun 18 angekommen ist. In 18 Aufnahmen wird entschieden, wer einen großen Titel gewinnt. In extremen Fällen, wie beim WeltCup-Finale in Bursa 2017, kann die Entscheidung in sieben Aufnahmen fallen. Da ist der Druck auf die Spieler enorm und so wollen wir das. Keiner will die Jungs am Strand rumspazieren sehen, wo ein Fehltritt ohne Folgen bleibt. Wir wollen, dass sie auf einem Drahtseil über den Grand Canyon balancieren, und drüben wartet, wenn sie`s schaffen, ein Sack voll Gold als Prämie.   

Warum schlägt Topspieler A (GD im letzten Jahr: 1,700) den Topspieler B, auch ein 1,7er,  mit 40  zu 21? Und wie kommt´s, dass  Topspieler B drei Wochen später gegen A mit 40 zu 17 süße Rache nimmt? Was verursacht diese großen Schwankungen bei Spielern mit vergleichbarer Stärke?

Die Antwort lautet: Das Momentum verschiebt sich. Das bringt dich nach vorn oder es bringt dich um.

Was ist das, diese Verschiebung des Momentums (nenn es auch: Impuls, Initiative, Kraft in eine bestimmte Richtung)? 

Was den „normalen“ Verlauf (... gibt´s den?) eines Matches durchbricht, das kann ein einziger wichtiger Punkt sein – gemacht oder ausgelassen. Ohne die Verschiebung des Momentums würde jedes Spiel zwischen zwei 1.7-Spielern mit 40 : 37 oder 36 : 40 enden. Hier nun vier Beispiele, wie und warum der Unterschied nicht regelmäßig nur drei oder vier Punkte beträgt, warum der Abstand deutlich grösser wird. Die Liste der Beispiele könnte viel länger sein und jeder kennt dafür mehr als ein weiteres.

1) Nehmen wir an, dein Gegner hat dich für ein paar Aufnahmen perfekt in die Zange genommen, und du hast nichts mehr getroffen. Aber plötzlich hat er es selber vermasselt, dir eine gute Stellung mundgerecht serviert. Alle Erfahrung sagt, dass du jetzt Chef an der Platte bist. Du solltest vier oder fünf machen, gut verteidigen und dann die Ernte einfahren. 8 - 10 Punkte sollten es werden; dein Gegner wird sich in den nächsten drei oder vier Aufnahmen mit 1 oder 2 begnügen müssen: jetzt machst du mit ihm, was er dir vorher angetan hat. Aber was passiert tatsächlich? Du lehnst die Einladung ab, du patzt bei dem Einsteiger! Das wird viel teurer als nur der eine ausgelassene Punkt, das werden leicht 10! Da hat sich das Momentum verschoben.

2) Dein Gegner hat drei gute Punkte gemacht und er hat Schiss vor dem gefährlichen vierten. Er entscheidet sich für die ängstliche Defensive. Keine Chance, den Punkt zu machen, aber zumindest schickt er dir die Bälle nach Sibirien. Und so kommt es auch. Aber du knackst das Problem und machst den heiklen Punkt! Es könnte sogar eine Serie draus werden, aber selbst wenn nicht und nicht mehr rauskommt als der eine Punkt: auch das ist eine Verschiebung des Momentums. Du setzt den Impuls, du hast die Initiative übernommen.

3) Du spielst einen schwierigen Ball und achtest auf Verteidigung. Der Rote steht 25cm von den Banden entfernt nahe der Ecke. Du lässt den gegnerischen Ball an der gegenüberliegenden kurzen Bande und spielst zum Roten. Wenn du auslässt, Rot verfehlst und dein Spielball in der Ecke kleben bleibt, war´s 100% perfekte Verteidigung. Wenn dein Ball 5cm von den beiden Banden in der Ecke entfernt stehen bleibt, dann hast du einen Kinder-Ticky hinterlassen. Wenn das passiert, ist das auch eine Verschiebung des Momentums .. und brutales Pech, denn nicht einmal die besten Spieler auf der Welt können das Tempo so genau bestimmen, dass sie so ein Unglück sicher verhindern.

4) Einer - du oder dein Gegner - macht einen entscheidenden Fuchs, ein Schwein, den Zufallstreffer. Da muss ich nichts erklären, wir kennen das alle, tausendmal passiert! Serien sind danach gemacht worden, Legenden sind entstanden, Geschichten wie die über die Fische, die einer vor Jahren geangelt hat. Die werden jedes Jahr grösser und grösser. Es gibt Füchse, Schweine, die folgenlos bleiben, und es gibt Füchse, die sind Momentum-Verschieber.   

Wenn du in einem Match bist, und das Momentum ist nicht bei dir, dann denke wie ein Spitzenspieler. Egal, ob du ein 0.40er, 0.70er oder 1.10er bist, es macht immer Sinn, sich die Frage zu stellen: Was würde ein Zanetti / ein Sung Won Choi / ein Coklu / ein Piedrabuena sich sagen, wenn er auf meinem Stuhl sitzen würde? Der würde so zu sich reden: "Okay, ich liege 21 - 6 hinten. Aber was er mir in der ersten Hälfte angetan hat, das kann ich ihm in der zweiten antun."

Da gibt es keinen unter den Spitzenspielern, der sich sagt: "Warum habe ich immer so viel Pech, die Welt ist gegen mich, ich hasse diesen Tisch, ich will nach Hause." Sie haben diese Gedanken vielleicht gehabt, aber sie haben sie bekämpft und den Kampf gewonnen. Deshalb gehören sie zu den Top 50 der Welt. Diese Jungs können sich ihr Momentum aus eigener Kraft schaffen. 


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